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29.Mär.2000
Martin Baute


Erwartet nicht zu viel - Nachdenkliches von Martin Baute
Im Vorfeld der Amiga 2K-Show in St. Louis, an die teilweise sehr große Erwartungen geknüpft werden, hat sich Martin Baute ein paar Gedanken darüber gemacht, was wir erwarten dürfen und auf was wir besser nicht hoffen sollten:

Erwartet nicht zu viel - Nachdenkliches von Martin Baute

In drei Tagen ist es also soweit. Anläßlich der "Amiga 2K" in St. Louis, USA, werden die neuen Amiga Entwicklerboxen der Öffentlichkeit präsentiert.

Es scheint tatsächlich so, als ob zum ersten Mal seit dem AGA-Chipsatz der Ankündigung einer neuen Amiga-Technologie auch tatsächlich handfeste Taten folgen würden.

Mit Interesse habe ich die begeisterte Erwartung auf Mailinglisten, Chat- Foren etc. verfolgt. Ich hasse es, diese Begeisterung bremsen zu müssen, aber vielen Amigianern kann ich nur zurufen: Erwartet nicht zuviel!

Bevor nach diesem Wochenende das große Wehgeschrei anhebt, wir seien mal wieder betrogen worden, und Bill und Fleecy seien auch nicht besser als ihre Vorgänger, möchte ich mal einen kritischen Ausblick auf das wagen, was uns erwartet.

Die Hardware, die dort in St. Louis zu sehen sein wird, wird sich in keinem Deut von einem handelsüblichen PC unterscheiden. Ja, das heißt x86er. Das wird sich auch in absehbarer Zukunft nicht ändern, denn was bleibt dem Amiga schon anderes übrig?

Ja, ich höre es rufen: PPC! Aber woher nehmen? Als einziger Hersteller von Hochleistungs-PPC-Systemen in großen Stückzahlen ist Apple zu nennen - und deren Systeme sind nicht nur deutlich teurer als die x86er-Konkurenz, sondern auch deutlich weniger ausführlich dokumentiert. Apple rückt nun einmal nicht mit allen Details der eigenen Motherboards heraus, wie schon die Firma Be schmerzlich erfahren mußte.

Die POP PPC-Boards von IBM? Ich habe, abgesehen vom Amiga-Stand auf der Kölner Messe, noch keines davon gesehen. Es gibt sie, das ist sicher. Aber wo, und zu welchem Preis?

Also in den "sauren Apfel" beißen und ein x86er Board nehmen. Jetzt mal ehrlich: Warum nicht? Die Prozessoren sind zwar keine Schönheiten, aber sie bieten x-mal mehr Leistung als alle (existierenden!) Amiga-PPC-Boards, sind preiswert, und es gibt sie beim Kistenschieber um die Ecke.

(Ich sehe schon, diverse Teile der Amiga-Gemeinde werden mich nach diesem Artikel steinigen wollen...)

Grafik? Mal ehrlich, keine Firma der Welt wird "mal eben so" die alten Hasen der Branche, ATi, Matrox, nVidia, 3DFx etc. ausstechen. Und diese wiederum werden einen Teufel tun und irgendeinen Wunderchip ausschließlich Amiga zur Verfügung stellen.

Auch da werden wir also mit "Standardhardware" Vorlieb nehmen müssen.

Was ist denn dann eigentlich das Besondere an der Entwicklerbox?

Ganz klar, Software. Aber was wird das eigentlich für Software sein? Wer einmal kühl nachdenkt, dem wird klar sein, daß auf diesen Rechnern nicht der neue Amiga Desktop zu sehen sein wird.

Zum einen wäre es ein Wunder, wenn dieser nach ein paar (drei? vier?) Monaten Zusammenarbeit mit der TAO Group schon fertig wäre. Und wenn er es wäre, würden keine Entwicklerboxen, sondern Endprodukte ausgeliefert.

Was auf der Entwicklerbox laufen wird, ist Elate, der Echtzeit-Kern von TAO. Vielleicht nativ, vielleicht auch "gehostet" unter z.B. Linux. (Und wenn McEwen auf den Amiga-Entwicklerboxen tatsächlich Windows vorinstal- liert, pilgere ich persönlich in die USA, um ihn in die Klapse einzuweisen.)

Dazu wird es eine Dokumentation der Elate- und intent-Architekturen geben (intent ist der "Multimedia-Layer" von TAO), wahrscheinlich eine Spezialversion des GCC und einen Haufen Includes.

Oder, um es Amiga-mäßig auszudrücken: Es wird nicht der Nachfolger für die OS3.5-CD im Paket liegen, sondern der Nachfolger der Amiga Developer CD.

Entwickler werden sich freuen, einen ersten Blick "unter die Haube" werfen zu können. Für User ist die Entwicklerbox wahrscheinlich so (un-)interessant wie der letzte Aldi-PC.

Das überhaupt Hardware zusammen mit der Software ausgeliefert wird, soll verhindern, daß Entwickler zunächst einmal Treiber für ihre spezielle Karte XY mit dem Chip ZZ schreiben müssen; gleichzeitig muß man bei einem Bug-Report dann nicht ellenlang die benutzte Hardwarekonfiguration beschreiben...

"Aber wenn dann die ersten Produkte für Endanwender kommen, dann wird alles gut, oder?"

So leid es mir tut, auch hier einen Dämpfer aufzusetzen - nein, wird es nicht. Zumindest nicht von alleine.

Selbst wenn alle Programmierer der Amiga-Gemeinde sich eine Entwicklerbox kaufen (und viele werden es nicht tun, alleine schon aus Kostengründen); selbst wenn ALLE existierende Amiga-Software vom Tage 0 an für die neuen Maschinen in neuen, besseren Versionen vorliegen würde...

...wäre das für uns zwar toll, und ein echtes Wunder. Aber welcher PC-User würde deswegen beim nächsten Aufrüsten hingehen und sich einen Elate-Amiga- wasauchimmer zulegen?

Welchem Studienkollegen könnten wir (guten Gewissens!) dazu raten, statt dem PC mit Monitor, Windows, Word und Works für 1998,- DM lieber einen Elate-Amiga mit Monitor, Elate, AmigaWriter und TurboCalc, PPaint und MUIbase für 1998,- DM zu kaufen?

Jaja, ich höre schon: Wird ja viel billiger, weil viel effizienter im Umgang mit der Systemleistung.

Natürlich, und wieder rennen die Amigianer in der Weltgeschichte herum und erzählen jedem, daß das AmigaOS auch aus einem halb so schnellen Prozessor das Gleiche rausholt. Wer erinnert sich nicht mehr an die mitleidigen Blicke?

Es wird Zeit brauchen. Es wird die Unterstützung von Softwareherstellern brauchen, die PROFESSIONELLE Anwendungen auf den Elate-Amiga umsetzen. Es wird Anwendungen brauchen, die in ihrer Eleganz, Effizienz und ihrer Nützlichkeit auf keiner anderen Plattform MÖGLICH sind. Es wird eine beispiellose Marketingkampagne brauchen, von der ich nicht weiß, wer sie bezahlen soll. Es wird starke Partner brauchen, die Amiga finanziell unterstützen - denn das Startkapital, das Bill und Fleecy zusammengekratzt haben, dürfte nicht mehr lange reichen.

Es wird die Unaufmerksamkeit der Konkurenz brauchen, die mit ihren riesigen Kriegskassen und ihrem monopolistischen Würgegriff den kleinen Emporkömmling blitzschnell aushungern kann.

Man mag zwischen den Zeilen der Executive Updates herauslesen, daß Bill und Fleecy bereits hochkarätige Partnerfirmen an der Hand haben - allein, um hierfür eine Bestätigung zu erhalten (und Namen genannt zu bekommen), lohnt den gespannten Blick auf die Vorgänge dieses Wochenendes.

Und, nach den vielen Jahren, die wir mit Hoffen, Warten und Ausharren verbracht haben: Es wird Programmierer brauchen, die mit allem Elan und trotz des zusammenbrechenden "Classic"-Marktes ihre Tools und Anwendungen auf die neuen Maschinen umsetzen.

Manch einer wird sagen: "Ich habe jetzt genug für den Amiga getan, jetzt sollen andere ran." Weiß Gott, ich könnte meine Zeit auch mit angenehmeren Dingen verbringen als stundenlangen Übersetzungen.

Aber gerade JETZT ist der Moment, an dem sich entscheiden wird, ob das jahrelange Ausharren Früchte tragen wird. Gerade JETZT müssen die Entwickler die Gelegenheit ergreifen, die Plattform "neuer Amiga" von Anfang an mit dringend benötigter Software zu versorgen.

Selbst wenn es ein Erfolg wird, wird wahrscheinlich nur für wenige das große Geld dabei herausspringen. Aber jetzt zu sagen, es wird ja sowieso nichts; selbst unentschlossen abzuwarten heißt, die letzten Jahre verloren zu geben.

Und letzten Endes wird es vor allem User brauchen, die ihr Geld dafür ausgeben, diese Tools und Anwendungen zusammen mit der neuen Hardware zu kaufen; die den Grundstein legen für die Neuuser und Umsteiger, die folgen mögen.

Erwartet nicht zuviel. Aber tut Euer Möglichstes!

Martin Baute 
mb@amiga-news.de (ps)

[Meldung: 29. Mär. 2000, 08:00] [Kommentare: 0]
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